Eine Geschichte um ein altes Auto

Ich war 18 und voller Tatendrang. Das Abitur war in Sichtweite und der Studienplatz schon sicher.

Auf einer Klassenfahrt kamen meine Klassenkameraden Rainer F. (Frigga) und Volkmar D. (Walter) mit einer Idee auf mich zu. Wie wäre es wenn wir uns ein erschwingliches Auto kaufen würden, und dann damit in den Urlaub fahren würden? Schließlich war zwischen dem Abitur im Mai und unserem nicht umgehbaren Dienen in der Armee Anfang November, viel Zeit.

Dieser Vorschlag faszinierte mich sofort. Es freute mich, daß die Beiden unter zwanzig Jungs in der Klasse gerade mich geeignet fanden, bei diesem Vorhaben mit zu machen. Jeder hätte seinen finanziellen Beitrag zu leisten und alle Kosten gingen durch Drei. Das war der Anfang einer uneigennützigen Verbindung von drei Jungs, die sich als Kumpels verstanden.

Am 10.Mai 1972 kauften wir dann zu Dritt von Hermann L. aus Theisa einen Opel P4, Baujahr 1934. Das Auto hatte einen 4-Zylinder, 1200 ccm, 23 PS starken OTTO-Motor und Hinterradantrieb. Der Preis betrug 700 Mark.

Es hatte auch für einen Laien sicht- und spürbare Mängel. Der Kühler war nicht dicht, der Motorblock zeigte einen Frostschadensriß. Der Motor lief nicht auf allen Zylindern. Man konnte ihn auch deshalb nicht per Anlasser starten. Es gab noch die Möglichkeit den Motor mit der Kurbel in Gang zu bringen. Mit unserer Muskelkraft erreichten wir aber die notwendige Umdrehungszahl nicht und die Kurbel schlug auch manchmal zurück. Uns blieb also nur das Anschieben. Aber wir waren ja zu Dritt und gingen das Risiko ein.

Ausgerechnet am nächsten Tag war unsere schriftliche Abiturprüfung in Mathematik. Deshalb stellten wir das Auto in Liebenwerda an der Ladestraße ab. So konnten wir unbeobachtet und in unserer Nähe das Vehikel in Gang bringen.

Am nächsten Morgen trafen wir uns schon um 6 Uhr früh, um das Anschieben zu beginnen. Gegen 7.30 Uhr erreichten wir mit dem Auto mit Müh und Not unsere Schule in Elsterwerda. Nun konnte die Klausur beginnen. Meine Gedanken waren aber ganz weit weg von den Prüfungsaufgaben. Sie drehten sich um unseren Opel. Was man im laufenden Schuljahr spielerisch an Differenzial- und Integralgleichungen lösen konnte, ging nur noch automatisch oder gar nicht mehr. Ich schöpfte nicht einmal die volle Prüfungszeit aus, wollte schnellstmöglich wieder beim Auto sein.

Das Auftauchen dieses Oldtimers sorgte an der Schule natürlich für viel Aufsehen. Aber wir bekamen ihn nach der Prüfung auch wieder nicht in Gang. Durch viel Glück konnten wir "Hut-Barth" aus Liebenwerda mit seinem Wartburg-Tourist zum Anschleppen überreden. Es konnten uns nur Fahrer helfen, deren Auto eine Hängerkupplung hatte. So konnte das Abschleppseil ohne Probleme eingehängt werden. Wir brauchten mehrere Runden Kreisfahrt vor unserer Schule, bis der Opel ansprang. Nun galt es den Motor nicht wieder ausgehen zu lassen. Das war besonders beim Schalten nicht einfach. Der Fahrer mußte immer wieder Zwischengas geben. So gelang uns die Heimfahrt und noch eine Rundfahrt durch Liebenwerda. Vor dem "Weißen Ross" wurde ein Krachen in der Kraftübertragung sehr laut, bis sich das Fahrzeug gar nicht mehr bewegen ließ. Wie wir später erfuhren, war das Differenzial gebrochen.

Nach dieser Enttäuschung gab es gleich wieder einen Lichtblick. In Maasdorf lebt Herr Wiesner. Er war damals schon Rentner, hatte aber 40 Jahre lange Erfahrung als Opelmechaniker in Berlin. Wir baten ihn, sich um unser Auto zu kümmern. Er sagte nur unter der Bedingung zu, wenn alle Arbeiten, die nicht unbedingt ein Fachmann ausführen mußte, wir übernehmen sollten.

Herr Wiesner baute ein Ersatzdifferenzial ein. Die Bremsen, die Zündung u.ä. wurden verbessert. Er gab die Anleitung, wir führten das Notwendige aus. So bekam man eine Einsicht über die Funktion der Teile. Die Zylinderkopfdichtung war total undicht. Erst wollten wir manuell eine neu aus Kupferblech herstellen, oder die defekten Stellen mit Bärenkleber schließen. Die sowjetischen Automobilwerke hatten den Motor von Opel ursprünglich nachgebaut, so passte die Kopfdichtung des "Wolga" auf den Millimeter.

Nach 2 Wochen, in denen wir alle Drei fast jede freie Minute am Auto gebaut hatten, war es startbereiter und normal fahrbar.

Die Testfahrt führte uns nach Torgau. Alles ging gut. Irgendwann und irgendwo hupt man dann auch mal bei Mädchen, um auf sich aufmerksam zu machen und so mußten wir den ersten Strafzettel entgegen nehmen: "Benutzung der Hupe als Rufsignal". Das machte 3 Mark, für jeden von uns Eine.

Die Reparaturen zehrten an dem Zeitpotential zur Vorbereitung unserer weiteren Abiturprüfungen. Unsere Eltern waren deshalb absolut gegen das Auto. So waren Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Wir sollten die Zeit für die Schule nutzen.

Jetzt, wo das Auto lief, unternahmen wir viele Ausflüge in die Umgebung. Freitags- und Sonnabendsabends fuhren wir besonders auf die umliegenden Ortschaften zu den Tanzveranstaltungen. Damit sollten sich auch Erfolge bei den von uns begehrten Mädels einstellen. Tatsächlich waren wir auch immer Gegenstand des öffentlichen Interesses.

Am Auto gab es immer etwas zu bauen und deshalb hatten wir dann auch schmutzige Hände. Das Abschleppseil und der Wagenheber waren stets in Reichweite. Einmal zersprang die linke Seitenscheibe, oder eine der Blattfedern brach.

Die Menschen waren damals sehr hilfsbereit. Überhaupt hatten wir ein wesentlich leichteres Lebensgefühl. Man konnte jederzeit trampen. Auf diese Weise kam man per Daumen auch im sozialistischen Ausland locker weiter. Es ergaben sich neue Bekanntschaften. Viele Tramper kamen auch aus den westlichen europäischen Ländern. So lernte man so manche Typen kennen. Die jungen Leute vertrauten einander mehr. Wir hatten das Lebensgefühl der "Blumenkinder" der 60`iger Jahre. Per Tramp konnte man einen ganzen Urlaub verbringen und länderübergreifend reisen. Die Leute halfen stets.

Das ist alles Geschichte, die gesellschaftlichen Bedingungen sind enger geworden und diese Freiheiten gingen verloren. Heute ist so etwas gar nicht mehr denkbar.

Manchmal stießen wir auch an die Grenzen unserer finanziellen Möglichkeiten. Schließlich brauchte man auch noch Geld für das Benzin. Ich knabberte schon seit Beginn dieses Abenteuers an meinem seit der Jugendweihe angesparten Konto.

Gern nahmen wir auch das Angebot von meinem Onkel mit "Russenbenzin" entgegen. Soldaten der Sowjetarmee verschoben Benzin, um an etwas Geld zu kommen. Der Oktanwert war niedrig und es roch auch anders. Unter der Hand war es nur halb so teuer. Der Opel verarbeitete auch dieses. Er bekam nach 20 km die optimale Betriebstemperatur und erreichte dann erst seine Höchstgeschwindigkeit.

Mittlerweile hatten alle das Abitur auf der EOS - Elsterwerda bestanden.

Am 17. Juni 1972 fand die Bekränzung der Abiturienten unseres Jahrgangs statt. Mit dem Opel P4 sorgten wir wieder für besondere Aufmerksamkeit. Wir fuhren mit Blumen auf dem Kühler vor. Am Abend war dann der Abi-Ball in der "Waldschänke" in Kahla. Nach der Feier schlief ich das erste Mal im Opel.

Ständig hatten wir dann unter Benzinmangel zu leiden, so daß wir auch öfter mit leerem Tank liegen blieben.

In unserem jugendlichen Leichtsinn wollten wir natürlich noch mehr.

Der Opel war ursprünglich grau. Mit so einer Maus wollte doch keiner unterwegs sein. Das Auto sollte umgespritzt werden. In der Garagenanlage am Thälmann-Platz nutzten wir dazu das Luftpumpgerät um die Spritzpistole anzutreiben. Das Auto bekam eine Orange-Farbe, mit schwarzen Rallyestreifen. Auf die Türen malten wir den Umriss von Afrika mit der Beschriftung "Trans-Afrika-Rallye". An die hinteren Seitenfenster kamen Gardinen. Das Ersatzrad auf der rechten Seite wurde mit einem Netz umspannt. Wir sammelten alle aus dem Westen erreichbaren Aufkleber, um sie hinten am Opel anzubringen.

Eine besondere Fahrt ging nach Dresden. In Hellerau spielte die Rockgruppe "Renft" relativ oft. Das war eine Band, die etwas Opposition in die Musik gegen die Verhältnisse im Sozialismus einbrachte. Wir waren schon vormittags da und machten noch einen Absteiger auf die Elbwiesen in der Altstadt. Abends beim Konzert trafen wir viele Bekannte. Der Saal war überfüllt und hatte eine Galerie. Einige Fans hatten Tonbandgeräte mit und ließen von dort die Mikrofone an den Kabeln in den Saal herunter und nahmen so die Musik auf. Wir kannten "Renft" schon, aber hier ging die Band voll aus sich heraus. Da war keiner mehr ohne Alkohol und dementsprechend brachten sie Sachen auf der Bühne, die wir so noch nicht erlebt hatten. Das war eine der Vorstationen zum Verbot der Renft-Combo.

An den ersten Tagen des Julis gab es in Bad Liebenwerda ein besonderes Ereignis. Die Freiwillige Feuerwehr feierte ihr 100 jähriges Bestehen. Es gab Feierlichkeiten und Umzüge. Zu diesem Fest trat hier der Freitaler Spielmannszug auf. Er bestand nur aus jungen Mädchen, so in unserem Alter. Abends beim Jubiläumsvergnügen lernte ich eins von den Mädels aus Freital kennen. Die Truppe spielte am nächsten Vormittag im Waldstadion. Ich war da und ich traf die Kirsche noch einmal. Das war der Anfang einer langen Freundschaft.

Der Freitaler Mädchenspielmannszug in Bad Liebenwerda

Unser  Opel war ein relativ kleines Auto. Die solide Bauweise der Karosse ermöglichte auch das Sitzen darauf.

Ende Juli fuhren wir mit dem Opel in unseren Urlaub an die Ostsee. In Klein-Köris machten wir bei Bekannten Zwischenstation. Dann, auf der Autobahn nahm das Lenkerspiel unseres Autos bedrohliche Dimensionen an. Wir brauchten fast die gesamte Breite der Fahrbahn. Ständig mußte einer beobachten, ob wir überholt werden, um dann an die rechte Fahrbahnkante zu steuern. Schließlich hielten wir an. Die Fehlerursache waren die Radlager. Das waren konische Lager, die pro Achse nur von einer Kronenmutter gehalten wurden. Als Imponiergehabe fuhren wir die Kurven in Liebenwerda so, daß die Reifen quietschten. Das überforderte diese Konstruktion einfach. Die Kronenmuttern hatten sich gelöst und die Splinte waren abgeschert. Wir bockten das Auto auf, die Lager wurden nachgestellt und die Muttern neu gesichert. Dann konnte es weitergehen.

Unser Ziel war Zempin auf Usedom. Durch Vermittlung von Bekannten und mit 20 Mark nachgeholfen, bekamen wir einen Zeltschein. Jetzt konnte der Urlaub beginnen. Doch mit einem Mal lief der Motor des Autos nicht mehr. Der Grund war schnell ermittelt. Es gab keinen Zündfunken mehr, weil der Verteilerdeckel einen Riß hatte.

Am nächsten Tag trampten Walter und ich nach Wolgast. Es gelang uns, eine alte Autowerkstatt ausfindig zu machen, die ähnliche Ersatzteile hatte. Nach dem Einbau einer anderen Verteilerhaube mußten wir nur noch die Zündfolge ändern und unser Motor sprang gleich wieder an. Da das Auto direkt neben unserem Zelt parkte, schlief ich fast jede Nacht darin.

Nach und nach kamen mehrere Klassenkameraden in Zempin an. So wurde es ein lustiger Urlaub, mit vielen Bekannten, vor der Trennung durch die Armeezeit. Das Wetter war traumhaft. Tags über waren wir am schönen FKK-Ostseestrand. Dort gab es ein Volleyballfeld. Jeder konnte mitspielen. Männlein oder Weiblein; alles total freizügig und kontaktfreudig. So waren wir bald ringsum braungebrannt. Besonders Spaß machte es, wenn die See bei stärkeren Wind etwas höher ging. Wir stürzten uns kopfüber mit Hechtsprung in die sich auf der Sandbank auftürmende Wasserwand der brechenden Wellen, bis zur Erschöpfung. Man mußte nur aufpassen, nicht gegen die Buhnen geworfen zu werden. 

Abends liefen wir meistens am Strand entlang, zum benachbarten Zinnowitz. Da war viel los. Zuerst ging es in einer der Gaststätten, um Abendbrot zu essen und uns in Stimmung zu bringen. Dann suchten wir gezielt die Bekanntschaft zum weiblichen Geschlecht. Im Park oder auf der Promenade sprachen wir Mädels an, um anzubändeln. Unser Treffpunkt war danach meistens das erste Haus am Platze, der "Erzhammer". In dieser Gaststätte hatten wir auch die prägnantesten Begegnungen mit anderen Urlaubern. Sie war ständig überfüllt. Trotzdem traf sich so jeder, der nicht zum offiziellen Urlaubsbetrieb der SDAG-Wismut gehörte. Man wurde zu Zweit platziert. So bekam man auch immer andere Tischpartner. Im Laufe des Abends entwickelten sich die verschiedensten Diskussionen. Meistens ging es um die Fragen der Philosophie, was uns besonders interessierte, das Leben mit Gleichaltrigen, die Abneigung gegen die etablierten Spießer und unsere verbotene Rockmusik.

Plötzlich gab es aber auch freundliche, ältere Kumpels, die mal eine Runde Bier oder ein Bauernfrühstück ausgaben. Dafür gab es dann Berührungen am Oberschenkel. Solche Erfahrungen waren für uns total neu. Da ergriffen wir schnellstens die Flucht.

Irgendwann kamen wir abends auf der Fahrt von der Disco am Achterwasser mit dem Auto in eine Polizeikontrolle. Jeder hatte etwas getrunken und es waren 2 Personen mehr an Bord, als zulässig. Walter musste pusten. Irgendwie gelang es ihm, daß das Röhrchen in der Dunkelheit jedenfalls nichts anzeigte. Also untersuchten sie das Auto auch nicht weiter und entdeckten nicht die auf dem Boden abgetauchten Freunde.

So verging die Zeit unwahrscheinlich schnell. Tagsüber hatten wir Sonnenschein, aber die Nächte waren kühler. An den letzten Abenden holte ich mir eine Erkältung, weil ich nachts zu lange mit einem Mädchen im Strandkorb verbrachte. Eines Abends, nach einem emotionellen Abschied von den Mädels und der Ostsee, kehrten wir Ende August nach Hause zurück. Ich lag mit Fieber hinten im Auto. Frigga und Walter fuhren die ganze Nacht durch und wechselten sich ab. Diesmal nahmen sie die Route direkt durch Berlin. Ich bekam leider davon nur bruchstückhaft die Fahrt durch den Alex-Tunnel mit. Früh morgens kamen wir in Liebenwerda an. Sie lieferten mich zu Hause ab. Ich war eine Zeit lang krank.

Schließlich wollten wir natürlich auch etwas soweit möglich, vom Ausland kennen lernen. Mitte September begann unser Trip mit dem Auto in die CSSR. Unser erstes Ziel war Freital. Bei meiner neuen Bekannten machten wir ausgiebig Kaffeepause und fuhren dann weiter. Als wir abends den Grenzkontrollpunkt bei Zinnwald erreichten, wurden wir gründlich von den DDR-Grenzern gefilzt. Es war wieder eine Bestätigung unserer Urteile über diese Gesellschaft. Sie trauten den jungen Leuten nicht, die etwas Ungewöhnliches unternahmen. Nach der Kontrolle fanden wir im Wald eine Stelle zum Übernachten.

Der Opel war relativ klein. Er hatte auch keinen Kofferraum, sondern nur eine hinten festgeschraubte Kiste. Darin waren das unentbehrliche Werkzeug, wie Motorkurbel, Abschleppseil, Wagenheber, Ersatzteile und immer eine Reserve Kühlwasser. Die Vordersitze ließen sich aber nach vorn umklappen. Mit unseren Reiseklamotten, die sonst auf dem Dachgepäckträger waren, wurden die Zwischenräume ausgepolstert. So entstand eine Schlaffläche auf der wir Drei locker die Nächte überbrücken konnten.

Karlsbad war unser nächstes Ziel. Die Straße führte uns durch das interessante südliche Erzgebirge. Es ging entlang des Gebirgszuges. Bei einer der Serpentinen bergauf war eine Innenkurve so eng und steil, daß es unserer Opel nicht mehr schaffte. Wir Mitfahrer mußten also aussteigen, das Auto rollte zurück und nahm neuen Anlauf. Dann schoben wir noch mit und so schaffte es diese Steigung.

In Karlsbad fand sich schnell eine Seitenstraße, in der der Opel parken konnte. Nach dem wir das berühmte Karlsbader Heilwasser aus den verschiedenen warmen Quellen gekostet hatten, suchten wir natürlich auch hier Kontakt zu den weiblichen Mitgliedern dieser Gesellschaft. Direkt neben unserem Parkplatz lernten wir ein Mädchen kennen. Sie wohnte im Nebenhaus und abends trafen wir uns in ihrer Wohnung. Sie hatte noch 2 Freundinnen eingeladen. Die Verständigung ging nur mit unserem Schul-Russisch. Wenn das Bier zu Ende war, ging immer ein Pärchen, um aus der Gaststätte zwei Häuser weiter, per Krug, Nachschub zu holen.

Nächsten Morgen fuhren wir leider weiter, nach Franzensbad. Das war in der Vergangenheit ein besonders exklusiver Badeort. Als wir die Hauptstraße entlang fuhren, winkten uns Leute entgegen. Sie hatten den Opel wiedererkannt. Es war eine Reisegruppe Rentner aus Bad Liebenwerda, unter ihnen auch Friggas Mutter. Als sie aber sahen, mit welchen abgerissenen Typen sie es zu tun hatten, mit langen Haaren und unrasiert, da war ihre Euphorie sofort vorbei. Wir verbrachten im Kurort der ehemals Mächtigen noch ein paar Stunden und fuhren dann weiter über Marienbad nach Pilsen.

Dort kamen wir abends an. Uns stand der Sinn nach einer zünftigen Bierkneipe. Wir wollten das wohl beste Bier der Welt, den Urtyp kosten. Das Auto konnten wir direkt an der Kirche im Stadtzentrum abstellen. Dann brachen wir auf, um eine Gaststätte zu finden. Es lief alles schief und wir fanden keine. Schließlich landeten wir in der Stadthalle, wo grade ein Volkstanzfest stattfand. Hier war eine Riesen -Stimmung und wir hatten auch sofort nette Bekannte. Der Abend war wirklich sehr lustig mit Schunkeln und so. Der Nachteil war, dort gab es nur Wein, kein Bier. Wein war man gar nicht gewohnt und so endete die Nacht ganz schön katastrophal.

Als wir am nächsten Tag im Auto aufwachten, war es schon Vormittag und um uns das volle Leben einer Stadtmitte. Nachdem wir uns aufgerappelt hatten, sprang der Opel wieder nicht an. Der Fahrer eines weißen Mercedes "Automatik" aus Hamburg half uns schließlich. Diese Begegnungen mit Westdeutschen war etwas Besonderes. Sie akzeptierten uns als Jugendliche und Ostdeutsche und freuten sich über eine neue Bekanntschaft. Man war das nicht gewohnt und hatte durch die Erziehung in der DDR Vorurteile. Frigga schaltete beim Anschleppen die Zündung erst später ein, so daß ich das Anschleppen noch filmen und fotografieren konnte.

Weiter ging es nach Prag. Wir erreichten die Stadt nachmittags und parkten in einer Seitenstraße in der Nähe des Stadtzentrums. Der Besuch des Wenzelsplatzes war für uns besonders spannend. Das Parlamentsgebäude, was zum Prager Aufstand 1968 von sowjetischen Truppen mit Panzern beschossen wurde, zeigte sich immer noch eingerüstet. Es war kaum zu glauben, daß die Schäden durch diese Zerstörung noch nach vier Jahren nicht ganz beseitigt werden konnten.

Unterhalb des Platzes fanden wir die Bücherei, die deutsche Bücher führte. Hier gab es auch westdeutsche Bücher und man konnte nur staunen, was DDR-Verlage alles herausgebracht hatten. Zu Hause tauchten manche Titel auf dem Ladentisch einfach gar nicht auf.

Schließlich ging es dann in das nicht weit entfernte U Fleku. Diese weltberühmte Gaststätte mit der großen Uhr über dem Eingang zog damals besonders junge Leute an. Das dunkle Bier tranken wir mit dem Halb-Liter-Maß. Wir kehrten am frühen Nachmittag ein und blieben bis abgeschlossen wurde. Danach zogen wir singend über den Wenzelsplatz zu unserem Auto, wo wir wie immer übernachteten.

Am nächsten Tag unternahmen wir einen Bummel durch Prag und verfolgten historische Spuren. Der Versuch den Friedhof zu erreichen, auf dem der mutmaßliche Schöpfer des Golem beerdigt sein sollte, scheiterte an der notwendigen Zeit. Abends nahmen wir von Prag viel zu schnell Abschied und fuhren in die Nacht hinein, nach Decin. Dort ging es nach einer Pause weiter über die Grenze. In Freital machten wir am nächsten Tag natürlich noch einmal Zwischenstation und landeten abends wohlbehalten in Liebenwerda an.

Parallel zu dieser Zeit waren wir Drei immer in der Jungen Gemeinde der Evangelischen Kirche. Es gab ein reges Jugendleben. Man traf sich wöchentlich und es wurden interessante Abende organisiert. Wir hörten Rockmusik, feierten viel und trafen uns mit den katholischen Jugendlichen. Frigga und Walter spielten sogar in der aus dieser Gruppe gebildete Band mit. Diese Band brachte der St. Nikoleikirche in einem Gottesdienst die ersten elektronischen Klänge überhaupt. Wir wollten neue Gedanken und politische Veränderungen einbringen. Immer hieß es damals von den kirchlichen Verantwortlichen: Die Kirche ist kein Sammelpunkt von Oppositionellen.   

Es war nun Ende September. Der November, der Monat an dem wir zur Armee eingezogen werden sollten, rückte immer näher. Vor dieser Unzeit galt es seine privaten Verbindungen zu intensivieren und zu vertiefen. Da keine Garage in Liebenwerda in Sicht war, mußten wir den Opel verkaufen.

Ich, Walter und Frigga am Opel

Es hatte sich aber noch ein Kumpel aus Liebenwerda in eine der Freitaler Mädchentruppe verguckt. Er überredete mich zu einer weiteren Fahrt nach Freital. Frigga und Walter waren diesmal nicht dabei. Erst besuchten wir meine Bekannte und dann seine Freundin. Der Tag verging so sehr schnell. Im Dunklen machten wir uns auf die Heimfahrt. Zuerst verfuhren wir uns und landeten in Richtung Freiberg. Als wir dann an Prösen vorbeifuhren, hielten wir natürlich noch am "Zentral". Hier war gerade Sonntagstanz. Was für eine Herausforderung! Im "Zentral" konnte man damals Konzerte und Tanzabende erleben und es war bekannt wegen des Mädchenüberschusses. Auf dem Nachhauseweg in Elsterwerda-Biehla gingen die Bahnschranken zu. Die Umgehungsstraße gab es noch nicht. Beim Auslaufen rumpelte es plötzlich am Auto hinten rechts. Es kippte fast um. Wir hatten ein Hinterrad verloren. Das Weiterfahren war nicht möglich. Wenn so etwas bei voller Fahrt passiert wäre, die Folgen hätten katastrophal sein können. Das Auto wurde auf den Randstreifen geschoben und der letzte Zug brachte uns nach Hause.

Frigga und Walter waren außer sich, als ich sie am nächsten Tag über diese Panne informierte. Während ich mich in Freital vergnügte, hatten sie mittlerweile einen möglichen Käufer für den Opel gefunden. Und nun war er nicht einmal mehr funktionstüchtig.

Wir fuhren sofort nach Elsterwerda, um den Schaden zu besichtigen. Was in der Dunkelheit der letzten Nacht nicht erkennbar war: Wieder hatte sich die Kronenmutter eines Radlagers gelöst. Der Sicherungssplint war abgeschert und so hatte sich das Rad selbständig gemacht. Wir suchten die Straße noch kilometerweit ab, ohne die Schraube zu finden. Zum Glück war die "Schraubenbude" in der Nähe. Wir kannten dieses Werk von unserer Schulzeit. Dort hatten wir den "Schultag in der sozialistischen Produktion". Das war ein Betrieb, der nur Schrauben herstellte. Aber auch hier gab es keine passende Ersatzmutter, da es sich um ein nichtmetrisches Gewinde handelte. Ein Meister der Produktion schlug uns vor, ein neues Gewinde auf die Achse zu schneiden. Er gab uns auch das notwendige Material dazu: das Schneideisen und die Kronenmutter. Mit einem Mal war unser Opel wieder fahrbereit.

das letzte Foto von unserem Auto

Kurz vor dem Einzug zur Armee hatten wir Fete auf Fete. Wir machten noch eine Fahrt nach Dobra auf eine Wiese, um Fotos zu machen und zu filmen. Am letzten Tag vorm Einzug in die NVA verkauften wir unseren geliebten Opel P4 an einen Bekannten.

Solche Erlebnisse schweißen zusammen. Während der 18-monatigen Armeezugehörigkeit ließen nicht nur wir Drei, sondern auch alle anderen Freunde, den Kontakt nicht abreißen.

Nach der NVA kaufte sich Walter einen Ford Taunus Baujahr 1952 und Frigga einen DKW Kabrio von 1939.

Und wieder ging es nach Usedom und nach Zempin.

Frigga und Walter hatten beide eine Schmalfilmkamera. Besondere Abenteuer wurden damit festgehalten. Es gibt einen ca. 15-minutigen Film über diese Zeit von Frigga. Walters Aufnahmen sind bei ihm verschollen.

Walters Ford und Friggas DKW an der Autobahn im Sommer 1974 bei einer technischen Rast.