Einige Ereignisse vor und nach dem Umsturz 1945

in Bad Liebenwerda

 

 

Nach Augenzeugenberichten

Vor 60 Jahren gab es dramatische Ereignisse in Bad Liebenwerda. Es gibt nur noch wenige, die sich daran erinnern können oder wollen und es auch weitergeben. Einige von ihnen waren damals jünger als 15 und erlebten die Dramatik der Ereignisse und die Unsicherheit der Bevölkerung nicht vollständig.

1944 rückten an allen Fronten die Alliierten nach Deutschland vor.

Der 20. April 1944 (Hitlers Geburtstag) war ein besonderer Tag in der Schule. Die Mittelschule war im ehemaligen Schulhort in der Riesaer Straße. Immer wieder gab es Unterbrechungen des Unterrichts durch Fliegeralarm. Bereits in den Jahren zuvor führte man mit den Kindern Luftschutzübungen durch, wo sie Rundgänge durch die Kellergewölbe unternahmen. Im Spätherbst wurde der Schulbetrieb dort eingestellt. Das Gebäude diente weiter als Militärlazarett. Der Unterricht fand dann in der Sakristei der Kirche statt.

Im Herbst 1944 wurde ein polnischer Kriegsgefangener in der Nähe des Wasserturmes öffentlich gehängt. Polnische Kriegsgefangene arbeiteten in vielen Haushalten und in der Landwirtschaft. Die herannahende Front motivierte sie, aktiv zu werden. Es gab Übergriffe auf deutsche Frauen. Zu dieser Hinrichtung wurden extra ca. 200 polnische Kriegsgefangene zur Abschreckung herangefahren.

Zu Pfingsten fielen die ersten Bomben auf die Reisswiesen, einem Wohnhaus in der Riesaer Straße, Ecke Siebenrücken und ein Bauernhof in Zobersdorf.

Ab Januar 1945 zogen Trecks durch Bad Liebenwerda. Die Not der Flüchtlinge war groß. Auf den Pferdewagen erfroren Säuglinge und starben Kranke. Der Markt war gefüllt mit Pferdefuhrwagen, auf denen die flüchtenden Familien wohnten.

Liebenwerda wurde oft von amerikanischen Tieffliegern angegriffen. Das waren doppelrumpfige "Lightning"-Flugzeuge mit 8 starren SMG´s als Bewaffnung. Sie griffen den Flüchtlingstreck, der von der Berliner Straße bis nach Winkel reichte, an. Innerhalb kurzer Zeit stand die ganze Kolonne in Flammen. Dann beschossen sie den Treck auf der Straße nach Lausitz. Die Tiefflieger jagten Leute beliebig und haben z. B. bei der Feldbestellung ein Pferd vor dem Pflug weggeschossen. Diese Arbeiten wurden in die späten Abend- oder die frühen Morgenstunden verlegt.

20.01.1945 Herr Voigtländer und die Kirchturmspitze

Herr Gerhard Voigtländer fliegt als Fluglehrer mit einem Flugschüler, jeder in einem einsitzigem Jagdflugzeug vom Flugplatz Pomßen (zw. Leipzig und Grimma) nach Bad Liebenwerda. Er hat die vorgeschriebene Flugroute verlassen und kreist über der Stadt, um seine Eltern und seine Verlobte zu grüßen. Dabei streift er mit einem Flügel das Turmkreuz der evangelischen Kirche. Am Rathaus, an der Ecke zur Fleischerei Schreier landet der zerknüllte Rest des Kreuzes, im Nordring an einem Gartenzaun, gegenüber einer Arztpraxis liegen die Reste des Flugzeuges mit nur einem Flügel. Der zweite Flügel war abgerissen und in den Wiesen gelandet. Das Flugzeug fiel auf das Dach eines Nebengebäudes und beschädigte dieses stark. Bis auf den Verlust eines Auges gesundete der Pilot nach einem Krankenhausaufenthalt wieder.

Immer öfter konnte man bei Fliegeralarm die Bombengeschwader am Himmel sehen, die in Richtung der Großstädte flogen.

Im Januar 1945 wurde der Liebenwerdaer Bahnhof bombardiert. Dabei wurde die Villa gegenüber dem Bahnhof, der Elsterdamm und die Weinbergwiesen getroffen.

Am 13.02.1945 war der Himmel gerötet, als Dresden brannte. Das Leuchten der Flammen war auch in Bad Liebenwerda zu sehen.

Ostern war 1945 kalendermäßig zeitig. Trotzdem war es schon warm. Die Versorgung der Bevölkerung wurde immer schwieriger. Es gab kaum noch Fleisch- und Wurstwaren. Die Lebensmittelkarten dienten oft nur für den Kauf von Ersatzstoffen, z.B. Zucker für Fleisch. So gab es für das Osterfest erstmals Kürbisgemüse als Tiefkühlware. Die Kinder freuten sich über die Süße und Schmackhaftigkeit dieser Lebensmittel.

An den Elsterbrücken bauten Pioniere Sprengkammern ein und befestigten Fliegerbomben mit Drahtseilen an den Pfeilern. Gleichzeitig errichtete man an den Brückenköpfen Panzersperren. Große Kiefernstämme wurden in den Boden gerammt und damit die Straße so eingeengt, daß gerade noch ein Fuhrwerk auf einmal die Brücke passieren konnte.

Mittwoch, den 18.04.1945

Der Bahnhof von Elsterwerda wird bombardiert, am späten Nachmittag dann der Bahnhof von Falkenberg.

Viele Menschen verlassen Liebenwerda, um nach Westen zu fliehen.

Es gibt viele Selbstmorde in unserer Stadt. Ganze Familien suchen den Freitod. In der Weinberge werden sie auf dem Bergfriedhof an einer separaten Stelle beerdigt.

Sonntag, den 22.04.1945

In Liebenwerda erfolgt gegen 15.00 Uhr die Sprengung der Straßenbrücken der Elster. Bis dahin hat es Absetzbewegungen in Richtung Westen gegeben. Die Wehrbrücke konnte nicht gesprengt werden. Der dort Wohnende hatte durch Entfernung der Kabel eine Sprengung der Wehrbrücke verhindert, und sich und seine Familie versteckt.

Wenn man heute aufmerksam auf dem Elsterdamm spazieren geht, kann man einen Stein in einem Baum am Rande des Dammes finden. Durch die gewaltige Explosion der Sprengung wurde dieser Betonbrocken an einen Baum geschleudert, deren Äste ihn aufnahmen und ihn bis heute festhalten. Wer diesen Stein finden möchte, braucht nur von der Bahnhofstraße aus der Innenstadt kommend über die Brücke gehen und dann nach rechts auf den Elsterdamm einbiegen. Der Stein befindet sich dann in dem 5. Baum auf der rechten Seite in einer Astgabel.

 

gesprengte Wäldchenbrücke 1945

Die ersten sowjetischen Soldaten ziehen gegen 18.00 Uhr mit Fahrrädern in den Ortsteil Weinberge ein. Auf dem freien Platz an der Dresdener Straße, Ecke Turmstraße (heute ELG-Gelände) bauen sie ein Flackgeschütz auf und feuern über die Elster. Deshalb steht am Stadtrand das Wohnhaus der Familie Beger in Flammen. Es wurde von einer russischen Granate getroffen. Die Frauenfeuerwehr von Liebenwerda löscht den Brand. Zu dieser Zeit wird die letzte Elsterbrücke, die Eisenbahnbrücke, gesprengt. Die sowjetischen Truppen müssen einen Tag warten, bis Pioniereinheiten die Flußübergänge passierbar gemacht haben.

 

 

gesprengte Eisenbahnbrücke

Nun muß die Zivilbevölkerung Vergewaltigungen, Plünderungen und andere Quälereien erdulden. In einigen Familien werden die Töchter mehrfach vergewaltigt.

Ein Menschenleben ist nichts wert. Ob jemand erschossen wird, oder nicht, hängt von dem momentanen Gemütszustand des Soldaten ab. Ein Mann wird z.B. erschossen, weil er seine Münzsammlung vor der Plünderung bewahren wollte. Fand man Fotos von deutschen Soldaten oder Teile von Uniformen in den Wohnungen, wurden die Leute an die Wand gestellt. Sie gaben dann ihre Wertsachen Schmuck, Uhren u.ä. hin, in der Hoffnung, nicht erschossen zu werden. In einer Villa gegenüber dem Bahnhof wurde Vater und Mutter erschossen, während die Tochter sich hinten aus dem Haus heraus retten konnte. Über Elster, Elbe und Mulde floh sie bis zu den Amerikanern.

In einer der Villen in der Bahnhofstraße wurde eine junge Frau von mehreren Soldaten solange missbraucht, bis sie tot war. Man verstand das nicht, daß diese verlausten, ungepflegten,  zerlumpten und vergewaltigenden  Soldaten die Sieger über ihre Väter, Söhne und Freunde, die in den Krieg gezogen waren, sein sollten. 

Die Jungen des Baumschulenbesitzers P. leisten Widerstand. Sie verschanzen sich im Keller ihres Wohnhauses und zerstören mit einer Panzerfaust einen russischen Panzer, der aus Zeischa kommend, in die Hauptstraße einbiegen will. Den nachfolgenden Truppen sind sie nicht gewachsen. Man fand ihre Leichen erst 4 Wochen später.

In der Nacht wird eine Behelfsbrücke am Kurhaus gebaut.

Im westlichen Stadtteil ist es noch ruhig. Einige Einwohner sehen keine Zukunft mehr und fürchten die Exzesse der Rotarmisten. Viele nehmen sich das Leben durch Erhängen oder Vergiften.

Die letzten Lebensmittelreserven wie Zucker, Mehl, Rohkaffee und Fliegerschokolade aus den städtischen Depots werden an die Bevölkerung ausgegeben.

Durch die Sprengung der Brücken sind viele Schaufensterscheiben geborsten. Die Bevölkerung plündert Depots und Läden.

Leute aus dem Bereich der Torgauer Straße fliehen mit Handwagen in Richtung Wahrenbrück in die "Gatschke" (dem Pappelwald). Aus Richtung Lausitz kommen die polnischen Kriegsgefangenen und rauben die leerstehenden Wohnungen aus.

Am Abend ziehen Reste der Wehrmacht mit Pferdewagen und klapprigen Autos in Richtung Riesa zum letzten Kampf im Raum Dresden. Dann fahren noch eine Stunde deutsche Panzer, meistens "Königstiger" in Richtung Riesa.

Montag, 23.04.1945

Nach und nach wird Liebenwerda vollständig durch die Rote Armee besetzt und auch im westlichen Stadtteil wird geplündert, vergewaltigt und erschossen. Die Karlsbader Freiheit (jetzt Fitzkow-Platz) wird auf Grund der Bauart und Anlage oft mit Kasernen verwechselt und deshalb oft besucht. Ein angetrunkener Russe läßt alle Bewohner der "Karlsbader Freiheit" antreten. Er fordert 3 Armbanduhren und droht mit Erschießungen. Schließlich muß er sich mit zwei Uhren zufrieden geben. Nachts verstecken sich viele Frauen auf den Spitzböden der Häuser. Einige Frauen holen sich später alliierte Soldaten ins Haus. So werden die Russen abgeschreckt.

Plötzlich brennt das Amtsgerichtsgebäude. Aufgebrachte polnische Kriegsgefangene haben es angezündet.

Dort waren "Wlassow"-Truppen (russische Kriegsgefangene, die unter General Wlassow auf deutscher Seite kämpften) untergebracht. Sie hinterließen dort ihre Waffen und Ausrüstungsgegenstände um nach Westen zu marschieren und sich den Amerikanern zu ergeben. Die ca. 2000 Mann nahmen ihren Weg über Saxdorf nach Belgern.

Über die Elsterbrücke Bahnhofstraße wurde eine Behelfsbrücke errichtet, die aber nur auf dem Wasser schwamm.

Nach der provisorischen Reparatur der Brücken fahren die ersten russischen Einheiten in Richtung Riesa. Es sind Traktoren mit Ketten, die schwere Kanonen ziehen. Sie fahren 3-spurig, wobei beide Gehwege von Jeeps und kleinen Wagen benutzt werden. Es folgt Panzer auf Panzer, zwischendurch kommen immer wieder große LKW´s (Studebacker). Die Autos sind alles amerikanisches Material. Die Armee fährt ununterbrochen 3 Tage und 3 Nächte.

Die Besatzer haben eine große Viehherde, die aus den geplünderten Ställen der Umgebung stammt. Um die Herde haben sich Zigeuner und polnische Kriegsgefangene angesammelt, die Milch und Fleisch für sich abzweigen. Die Herde bleibt einige Tage auf den Wiesen in der Riesaer Straße und zieht dann weiter.

Die Rote Armee beschlagnahmt die schönsten Häuser in Liebenwerda:

Die Bevölkerung mußte ihre Radios und Telefonapparate bei Knochenhauers abgeben. Die Geräte wurden mit Kartoffelgabeln aufgeladen und abtransportiert.

In der Schloßäckerstraße befand sich eine Baracke mit französischen Kriegsgefangenen. Sie arbeiteten in der Schraubenfabrik Keßler. Herr Keßler sollte sofort erschossen werden. Die französischen Kriegsgefangenen setzten sich aber für ihn ein und er wurde ins Lager Mühlberg gebracht und starb dort.

Tödliche Erfahrungen eines Drogisten

Die russischen Soldaten suchten nach allem, was nach Alkohol riecht. In der Drogerie Goepel wurde auch geplündert. Dabei fanden die Soldaten neben Spiritus und Äthanol auch Methanol. Da dieser Alkohol sehr giftig ist, verweigerte Herr Goepel die Herausgabe. Mit vorgehaltener Waffe wurde diese Flüssigkeit jedoch erbeutet und sofort verkonsumiert. Als die tödliche Wirkung bei den Betroffenen eintrat, kamen ihre Mitkämpfer und nahmen den Drogisten mit. Von ihm ist nie wieder etwas gehört worden.

Die russische Kommandantur setzte einen Stadtrat ein. Der erste Bürgermeister war Mühlenbesitzer Knopf. Knopfs Mühle stand in der Dresdener Straße, wo jetzt die Kurklinik ist.

Oft wurde in diesem Zusammenhang von den Zeitzeugen der Polizeikommandant Nunnemann erwähnt. Nunnemann war vor dem Krieg Gärtner, hatte einen Blumenladen in der Bahnhofstraße links neben dem "Stadtcafe" und saß 6 Monate wegen krimineller Machenschaften im KZ. Er hatte im Rathaus seinen Sitz und schickte die Besatzer nach Leuten, die ihm nicht angenehm waren.

Es wurden einige Männer in das Liebenwerdaer Gefängnis gesteckt. Als ein Gefangenentransport aus Cottbus zum Lager Mühlberg durch Liebenwerda ging und einige der Gefangenen geflohen waren, wurde der Transport mit den Insassen des Gefängnisses aufgefüllt, damit die Zahl wieder stimmte.

Da die Eisenbahnbrücke gesprengt war, der Zugverkehr aber aufrechterhalten werden mußte, wurde dies so geregelt: Die Züge aus Richtung Falkenberg und aus Richtung Elsterwerda fuhren von beiden Seiten an die Brücke. Dort wurde ein behelfsmäßiger Übergang nur für Personen geschaffen. Diese mußten nun in die entsprechenden Züge umsteigen.

Erst gab es für die Bevölkerung eine Registrierkarte, dann Fahrradausweise in deutsch und russisch.

Alle Männer zwischen 14 und 63 mußten sich jeden Tag auf dem Markt melden, und wurden zur Arbeit eingeteilt. Sie hatten eine Stempelkarte und bekamen für jeden Arbeitstag einen Stempel. Dieser war die Voraussetzung für den Erhalt von Lebensmittelmarken. Einige der Arbeiter wurden zur Demontage der Betriebe eingesetzt. Besonders betroffene Betriebe waren Reiss, das Kesslerwerk, die Ofenfabrik und die Fabrik Schneider (jetzt Autohandel Herbig). Bei Reiss hatte man während des Krieges Visiereinrichtungen für Maschinengewehre und Flackgeschütze hergestellt, und diese sogar z. T. zum Kriegsgegner nach England geliefert. Das zweite Bahngleis wurde abmontiert und Erdkabel für Telefon und Strom herausgerissen. Bei der Demontage einer Überlandleitung vergaß man das Abschalten des Stromes, so daß ein sowjetischer Soldat einen Stromschlag erlitt und starb. Der Verantwortliche der Schaltstelle wurde daraufhin erschossen.

Durch die vielen Vergewaltigungen kam es zu Schwangerschaften. Ein Arzt nahm die Abtreibungen heimlich z. T. auf den Küchentischen vor. Manche Frauen mußten bis nach Lauchhammer gehen, um dann ohne Schmerzlinderung und Nachuntersuchungen behandelt zu werden. Mehrere Fälle von Geschlechtskrankheiten traten auf.

Lange konnte über diese Geschehnisse nicht unbeeinflusst berichtet werden. Das unmenschliche Vorgehen der sowjetischen Soldaten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung war kein Einzelfall. Wenn auch die Aufforderung von Stalin`s Propagandaminister Ilia Ehrenburg an die sowjetischen Soldaten: "Vergewaltigt ihre Frauen und tötet ihre Männer" von der offiziellen Geschichtsschreibung geleugnet wird, so wurde doch millionenfach danach gehandelt.

Es gab in dieser Zeit viele Opfer unter der Bevölkerung: Die Menschen, die sich aus Angst vor der Zukunft noch vor der Besetzung das Leben nahmen, die Frauen, die vergewaltigt wurden und deshalb in den Feitod gingen, die auf der Flucht nach westen im Treck gestorben oder erfroren sind und die wahllos Erschossenen. Für sie gibt es offiziell kein Gedenken. Nur den Juden und den polnischen Kriegsgefangenen, die in dieser Zeit in unserer Umgebung ums Leben kamen wurden Gedenksteine in Tröbitz bzw. in Elsterwerda-Biehla errichtet. 

01.05.2005

Baldur Windisch

Siehe auch Der Stadtschreiber Bad Liebenwerda, Jahrgang 13, Nr. 5 und Nr. 7